von Jörg Utecht

Das Dienstags-Dilemma eines Reibekuchen-Junkies: Gleich zwei Adressen, die in meiner Mittagspause gut zu Fuß zu erreichen sind, bieten frisch Fettgebackenes feil, aus Kartoffeln, in akzeptabler Qualität. Nun werden Touristen oder nicht gar so abhängige Menschen denken, dass die kulinarische Dramaqueen in mir sich mal wieder in Übertreibungen ergeht. Kann ja schließlich auch nicht angehen, dass es nur zwei Adressen sind, in einer Stadt, die in ihrer „Sproch“ mit „Rievkooche“ sogar einen eigenen Begriff für diese althergebrachte Streetfood-Delikatesse kennt. Und doch ist die traditionsreiche Speise kaum mehr zu finden auf Kölner Karten. Mittags schon mal gar nicht.

Früher war natürlich alles besser. Da gab es nicht nur noch die allseits bekannten Buden vorm Hauptbahnhof und am Stadion, von Strohhuts Eck in Ehrenfeld ganz zu schweigen. Da waren auch die einschlägigen Brauhäuser und Traditionslokale generell noch tagsüber geöffnet. Und lockten meist eben auch mit Reibekuchen auf der Karte. Doch da das Mittagsgeschäft für die Kölner Gastronomiebetriebe ein allzu hartes Brot geworden zu sein scheint, hat über die Jahre ein Bräues nach dem anderen seine Öffnungszeiten auf den Abend beschränkt. Im letzten Jahr gab sogar das Päffgen auf der Friesenstraße bekannt, Pandemie-bedingt fortan erst ab 16:00 Uhr zu öffnen. Zwar hat die dortige Küchenleistung niemals höheren Ansprüchen genügt, aber Ambiente und Bierqualität machten das stets mehr als wett.

Seit Ende Oktober ist im Traditionshaus von 1884 wieder alles beim Alten, die Türen öffnen sich pünktlich um 12:00 Uhr. Erst kommen verlässlich die Veedelstrinker, dann setzen sich die Büromenschen an den deftigen Mittagstisch. Und dienstags einigen sich beide ohne viel Federlesens schnell auf Reibekuchen. Dazu Schwarzbrot mit Butter oder Apfelmus. Und ein Glas vom nicht pasteurisierten Obergärigen. Köln kann schön sein – und lecker.
Bei gutem Wetter zieht es mich aber an besagtem Wochentag doch eher in die entgegengesetzte Richtung. Denn auf dem Wochenmarkt auf dem Sudermannplatz steht dann der Wagen vom Reibekuchen-Heinz. Und davor lange Schlangen an Menschen, die meine Ansicht teilen: Hier gibt es aktuell den besten Stoff. Aber Obacht: Pünktlich um 13:00 Uhr endet die Marktzeit, auch der letzte Gast am Reibekuchenstand muss dann bedient sein. Das Ordnungsamt kennt kein Erbarmen mit verspätet Hungrigen.

Montags übrigens lohnt sich ein Besuch im Früh am Dom, freitags bietet sich das Quetsch in Rodenkirchen an. Und an allen Wochentagen kommen im Bieresel auf der Breitestraße Reibekuchen auf den Tisch. Grundsätzlich aber gilt, dass die Qualität oft eher medioker ist. Das liegt meist an zweierlei: Entweder handelt es sich um vorgefertigte TK-Ware, die in der Kneipenküche nur noch „revitalisiert“ wird. Das schmeckt dann auch so, wie es klingt. Wenn frisch gebacken wird, wird dem Kartoffelteig aus Konsistenzgründen oft Ei (ein No-go!) oder zuviel Mehl beigemengt. Puristen wie ich bestehen hingegen darauf, sich auf folgende Zutaten zu beschränken: Kartoffeln (vorwiegend festkochend), Zwiebel, Salz und Pfeffer. Und Butterschmalz zum Ausbacken. Ich rege diesbezüglich eine rheinische Reibekuchen-Charta an, analog zur „Vera Pizza Napoletana“.  Das käme uns Connaisseuren genauso zu Gute wie dem kölschen Stadtmarketing.

Die Texte von Jörg Utecht zum Mittagstisch wurden ebenfalls in der Zeitschrift Zwischengang veröffentlicht.